Autor: Schattenkünstler

Jeder Bereich der Fotografie birgt seine ganz besonderen Herausforderungen. Beim Landschaftsfotografen klingelt der Wecker um 4 Uhr morgens, die Foodbloggerin muss Früchte und Cerealien möglichst ansprechend in der Müslischale drapieren und der Makroknipser kämpft mit Marienkäfern, die einfach nicht ruhig sitzen bleiben wollen. Von all dem verstehe ich herzlich wenig und bin heilfroh, diesen Beschwerlichkeiten nicht zu begegnen.

Ich bin Fotograf in den Bereichen Sensual und Akt. Zumindest versuche ich mich seit eineinhalb Jahren in diesem Feld. Wie der aufmerksame Leser jetzt sicher schon vermutet, geht es auch hier nicht nur darum, Blende, Zeit oder ISO-Wert richtig einzustellen. Die Herausforderungen liegen auf einer anderen Ebene. In den ca. 150 Shootings der letzten 18 Monate habe ich für mich gelernt, dass es eigentlich nur darum geht, zwei Dinge zu verstehen:

1. Wie nutze ich das Licht richtig.
2. Wie „tickt“ der Mensch, den ich hier gerade fotografiere.

Den ersten Punkt möchte ich an dieser Stelle unbehandelt lassen. Nur so viel: Wer sehen will, was man hierbei alles falsch machen kann, möge einen Blick in den Aktbereich der Model Kartei werfen. Nackte Frau vor Studiowand mit Frontalblitz ist hier der Klassiker. Gerne auch breitbeinig, um die Aufnahme auch einer Zweitverwendung in einem Gynäkologielehrbuch zuführen zu können. Aber ich schweife ab… Es geht also nicht um die Kamera, nicht um das Objektiv, nicht um Megapixel, Autofokus-Punkte oder Sensorgröße. Es geht um den Menschen. Darum, diesen Menschen nicht als Motiv zu sehen, sondern in ihn hinein zu spüren, empathisch zu sein. Und ganz simpel: Ihm erstmal zuzuhören.

The eye should learn to listen before it looks.

Dieses Zitat von Robert Frank, einem der größten fotografischen Geschichtenerzählers des 20. Jahrhunderts habe ich zu einer der obersten Prämissen meiner Shootings gemacht. Antennen ausfahren, zuhören, erspüren… und dann erst ans Fotografieren denken.

Der von mir hoch geschätzte Andreas Jorns treibt dies manchmal sogar auf die Spitze. Da wird dann zuweilen zwei Stunden gequatscht und zehn Minuten fotografiert. Gut, so weit gehe ich nicht, aber dennoch habe ich sehr oft das Gefühl, dass der entscheidende Teil der Shooting“arbeit“ darin besteht, auf menschlicher Ebene einen Zugang zum Model zu finden und ihr Vertrauen zu gewinnen. Nun möchte ich nicht behaupten, der Welt größter Frauenversteher zu sein. Beileibe nicht! Aber ich bemühe mich, stecke einen Großteil der Energie in diese Aufgabe. Und nicht selten bemerke ich dann, wie Stück für Stück die Anspannung des Models nachlässt, wie sie frei wird, sich plötzlich fallen lassen kann. Und diese Momente sind die mit Abstand schönsten der ganzen Fotografiererei. Plötzlich steht eine Frau vor der Kamera, die ihre Sinnlichkeit entdeckt und sich wohl dabei fühlt, erotisch und sexy zu sein.

So erinnere ich mich beispielsweise an das Shooting mit Eva, einer Frau in den 30ern, die offensichtlich lange mit sich gerungen hat, ob sie „sowas“ einmal wagen sollte. Viele Moods wurden vorher ausgetauscht, viel über Wünsche und Grenzen geschrieben. Und als es dann soweit war, tauchte sie plötzlich auf, die Angst vor der eigenen Courage. Plötzlich bröckelte das Selbstvertrauen dieser gestandenen Frau, wurde verdrängt von Selbstzweifeln. Nicht nur wegen ihrer weiten Anreise wollte ich unbedingt vermeiden, dass Eva ohne die Bilder nach Hause geht, die sie sich doch eigentlich gewünscht hatte. In solchen Situationen hilft kein Wissen über Kameratechnik, sondern nur Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Und eine hochschwangere Freundin, die als Begleitperson mitgekommen war und Eva ein paar dezente Stupser (oder waren es Arschtritte?) verpasst hat. Am Ende sind ganz tolle Aufnahmen entstanden, auf denen Eva sich in einem neuen, sehr sinnlichen Licht sehen durfte. Und bald werden wir uns zum zweiten Shooting treffen….  Was sollten wir also alle nie vergessen? Auch im Dessous- und Aktbereich fotografieren wir einen Menschen, keinen Körper. Wenn wir mehr wollen, als nur Kurven abzubilden, dann müssen wir erforschen, wer uns da gegenüber steht, sitzt oder liegt. Und wenn wir so intime Dinge wie Ausdruck, Gefühl und Sinnlichkeit geschenkt bekommen wollen, müssen wir dafür auch etwas geben: Aufmerksamkeit, Empathie, Respekt und ein offenes Ohr für Wünsche und Grenzen.

Der Schattenkünstler
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